Cellulite – eine Krankheit, die noch keine Krankheit ist?

Neun von zehn Frauen haben Cellulite. Und immer mehr Männer auch – vor allem jüngere. So viel ist unstrittig. In Sachen Behandlung von Cellulite gehen die Meinungen hingegen auseinander. Ständig neue Methoden versprechen gerne und immer wieder ultimative Lösungen. von Rudolf Weyergans

Eines ist klar: Die Cellulite ist ein komplexes Syndrom. Das heisst, verschiedene medizinische oder physiologische (Krankheits-)Symptome liegen gleichzeitig vor. Und komplexe Syndrome verdienen eine ganzheitliche Betrachtung. Damit ist das Cellulite-Thema ein Fall für uns – für die ganzheitliche medizinisch-orientierte Kosmetik. Wer genau hinsieht, dem eröffnen sich sogar neue Geschäftsfelder im zweiten Gesundheitsmarkt, denn Cellulite ist eine Krankheit, die noch nicht als Krankheit gilt.

EIN FALL FÜR DEN ZWEITEN GESUNDHEITSMARKT?

Aus physiologischer Sicht stellt sich das Cellulite-Übel relativ einfach dar. Starten wir dafür eine Reise unter die Haut! Würde man die oberen Hautschichten von Beinen, Bauch und Po wie bei einer Zwiebel abschälen, so würde man unter der Kutis ungewöhnlich aufgeblähte Fettzellen entdecken. Fettzellen, aus denen das subkutane Fettgewebe besteht, haben wir Wirbeltiere fast überall. Unser Fettgewebe hat vielfältige Aufgaben: Es verbrennt Nährstoffe wie Eiweiss (Aminosäuren), Fett (Triglyceride) und Kohlenhydrate (Glucose) und schützt uns thermisch. Die Fettzellen können bedingt auch Nährstoffe speichern und schützen uns vor mechanischem Druck von aussen, zum Beispiel wenn wir uns stossen. Das subkutane Fettgewebe ist fest mit seinen Nachbarn, der Epidermis und Dermis – dem, was wir eigentlich unter «Haut» verstehen –, verbunden. Dafür sorgen Eiweissstränge aus Collagen und Elastin, die wir treffenderweise als «Bindegewebe» bezeichnen

REISE UNTER DIE HAUT

Im Normalzustand sind die Fettzellen circa 1,5 Millimeter gross; also so gross wie Stecknadelköpfe. Im Fall von Cellulite haben sich einige Fettzellen allerdings bis zu einem Zehnfachen ihrer ursprünglichen Grösse aufgemausert. Jetzt sehen sie aus wie dicke, weisse Bohnen.

Bleiben wir auf Entdeckungstour! Was verbirgt sich in diesen Monsterzellen? Was hat dazu geführt, dass sie so gigantische Ausmasse angenommen haben? Wenn wir die Zellen vorsichtig öffnen, springen uns grossmolekulare Stoffwechselprodukte ins Auge. Dazu sagt der Volksmund «Schlackenstoffe». Es handelt sich um den «Abfall», der beim Verbrennen von Eiweiss, Fett und Kohlenhydraten übrig geblieben ist. 

Natürlich sind die Fettzellen von Natur aus nicht als Endlagerstätte für Verbrennungsrückstände vorgesehen. Im Regelfall hätte der schlackige Restmüll als Exkremente ausgeschieden werden müssen; vielleicht hätten wir ihn zusammen mit den Ballaststoffen unserer Nahrung auf der Toilette nochmal kurz wiedergesehen. Aber offensichtlich hat irgendetwas mit dem Abtransport der «Schlackenstoffe» von den Fettzellen bis zum Darm nicht funktioniert. Das sollten wir genauer untersuchen.

WENN DIE MÜLLABFUHR STREIKT

An der Stelle kommt unser Lymphsystem ins Spiel. Die Lymphe hat die Aufgabe, sich um genau diesen grossmolekularen Restmüll zu kümmern und brav zur Cysterna Chyli, also zum Darm im Bauchraum, zu verfrachten.

An dieser Stelle der Rundreise kommt häufig die Frage: Warum denn eigentlich die Lymphe und nicht das Blut? Ganz einfach: weil unser Blut zum Herzen zurückfliesst und von dort aus in die Lunge. Würde unser Blut besagte Stoffwechsel-Übrigbleibsel transportieren, lautet die Todesursache: «Tod durch Kot-Embolie».

Doch zum Glück ist die Aufgabenteilung in unserm Gefässsystem klar geregelt. Das venöse Blut transportiert nur gasförmige CO2- Moleküle; das sind winzig kleine Verbindungen, die der Sauerstoff eingegangen ist, nachdem er seine elektrische Energie, die wir für fast jeden Stoffwechselprozess brauchen, in den Zellen abgegeben hat. Diese Moleküle strömen aus allen Zellen über die Venen zum Herzen und von dort aus in die Lunge zur Ausscheidung über die Atmungsorgane. Das Ganze funktioniert hervorragend; denn das Blut wird von einem äusserst leistungsfähigen Aggregat durch den Körper transportiert – von unserem Herzen.

MUSKELPUMPE: DIE HERZEN DER BEINE

Aufgabe der Lymphe ist es, den feststofflichen Müll zu transportieren, also die grösseren Moleküle. Die Transportroute ist ebenfalls klar: vom Fettgewebe aus zu den Därmen im Bauchraum. Von dort aus wären sie ausgeschieden worden. Unterwegs hätten neugierige Makrophagen – auch «Fresszellen» genannt – in den Lymphknoten den Abfall nochmals auf eventuell brauchbare Vitamine und Aminosäuren untersucht und diese recycelt. Allerdings funktioniert dieser Transport bei Cellulite nicht mehr ausreichend. Im Laufe der Jahre werden die liegen gebliebenen Müllberge in unserem Fettgewebe immer grösser. Das Resultat: «Beulenpest» – wie es eine Journalistin des Westdeutschen Rundfunks beschrieben hat.

Auf unserer Reise sind wir jetzt an der Quelle der Erkenntnis des Übels angekommen: Cellulite ist das Ergebnis davon, dass nicht genügend Lymphe geflossen ist. Die Lymphe tut uns ja leider auch nicht den Gefallen, ausreichend aus eigenem Antrieb zu fliessen. Anders als im Blutkreislauf gibt es im Lymphsystem schliesslich kein zentrales Herz – jedenfalls kein so starkes und leistungsfähiges wie das unseres Blutkreislaufs. Lymphe fliesst nur ausreichend, wenn man sich bewegt.

Emil Vodder, der Begründer und erster Lehrmeister (nach Aristoteles) der modernen Lymphologie, sagte es treffend: «Lymphe muss geflossen werden!» Verantwortlich dafür ist die sogenannte «Muskelpumpe». Man muss sich bewegen, damit Lymphe fliesst und ausreichend «Schlackenstoffe» abtransportiert werden. Bei jeder Bewegung spannen sich die Muskeln an und drücken aus der Tiefe

   

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